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Evidence is the base of medicine, but common sense is the salt of it (Slava Ryndine)
 

Eindeitige Diagnose - wirksame Therapie

In der Medizin besteht ein allgemeiner Konsens darüber, dass eine korrekte Diagnose die Grundlage für eine wirksame Behandlung ist. In Anbetracht der aktuellen Ergebnisse der Behandlungen von Rückenschmerzen führt der bestehende theoretische Rahmen offensichtlich nicht ausreichend zu korrekten Diagnosen. Dies spricht für eine Revision der theoretischen Hintergründe. Dazu ist es notwendig, die Entstehung und Behandlung von Rückenschmerzen aus einem ganz anderen (motorischen) Blickwinkel zu betrachten. Dies führt zu besseren Diagnosen und damit zu wirksamen übungsspezifischen Behandlungen.

Nervenschmerzen (neuropthisch)

Bei der Untersuchung von Rückenschmerzen konzentrieren sich Ärzte und Physiotherapeuten vor allem auf die Wirbelsäule mit ihren Bandscheiben und den aus der Wirbelsäule austretenden peripheren Nerven. Dabei geht es um den hypothetischen Begriff des Nervenschmerzes (Neuropathie). Der Verdacht auf eine Nervenschädigung infolge einer radiologisch festgestellten Pathologie der WS und/oder funktionelle Störungen der peripheren und zentralen Teile des komplexen Systems der Schmerzwahrnehmung werden als Ursache der Symptome angesehen. Und das trotz ihres hypothetischen Charakters, trotz der relativen klinischen Bedeutung der Ergebnisse der radiologischen Untersuchung und trotz der geringen Akzeptanz in der akademischen Welt (der Neuroanatomie).
Die Tatsache, dass chronische (Rücken-)Schmerzen auch vollständig durch das wissenschaftlich begründete nozizeptive Modell erklärt werden können, wird immer weniger als reale Möglichkeit betrachtet und immer häufiger sogar als ein Nozebo  angesehen.

Gewebeschmerzen (nozizeptiv) 

Sowohl das ligamentäre und das subchondrale Gewebe der Gelenke als die Muskelfaszien enthalten eine große Anzahl von Nozizeptoren, die eng miteinander verbunden sind. Untersuchungen zeigen, dass Funktionsstörungen der Hüft-und Schultergelenke diese Nozizeptoren aktivieren und so ausstrahlende Schmerzen im Arm oder Bein auslösen können. Diese ausstrahlenden Symptome sind den hypothetischen Nervenschmerzen, welche durch eine Funktionsstörung peripherer Nerven verursacht werden sollen, sehr ähnlich.
Im Übrigen führen solche Funktionsstörungen zu motorischer Kompensation wodurch Schmerzen in der WS hervorrufen werden können.
(Leichte) Motorische Störungen der Schultergelenke verändern  die Statik der Halswirbelsäule und damit die Belastbarkeit ihrer Gelenke bei Armbewegungen. Schon leichte motorische Störungen der Hüftgelenke verändern bei Bewegungen der Beine die Statik des Beckens und damit die Belastbarkeit der Iliosakral- und Lumbosakralgelenke, die letztlich die häufigste Ursache für Schmerzen im unteren Rücken sind.  Mit zunehmender Funktionsschwäche von Hüfte und Schulter können ausstrahlende Schmerzen in einem oder beiden Gelenkteil (-en) auftreten, unabhängig davon, ob sie mit lokalen Schulter- oder Hüftschmerzen einhergehen.

Radiologische vs. motorische Diagnostik

Die Ursache von Nervenschmerzen (Neuropathie) wird durch eine radiologische Untersuchung festgestellt, die eindeutig eine Pathologie der Wirbelsäule wie Stenosen und Bandscheibenvorfälle aufzeigt. Aber immer mehr Forscher weisen darauf hin, dass es keine eindeutige Korrelation zwischen den radiologischen Untersuchungsergebnissen und dem Schmerz gibt. Personen ohne Beschwerden weisen häufig radiologisch nachgewiesene Anomalien auf, und Personen mit Beschwerden zeigen ebenso häufig überhaupt keine Anomalien.
Im Gegensatz dazu kann die motorische Untersuchung, wenn sie ordnungsgemäß durchgeführt wird, genaue Informationen über die Funktion und den Zustand des Bewegungsapparates (Schmerz - Beweglichkeit - Kraft) liefern und so eindeutige Zusammenhänge zwischen den Schmerzen und ihren Ursachen herstellen.

Bio-Psycho-Sozial

Außerdem wird in den multidisziplinären Behandlungsprotokollen (zu) viel Wert auf psychologische und soziale Faktoren gelegt, die bei Beschwerden jeglicher Art unbestreitbar eine wichtige Rolle spielen. Infolgedessen ist ein spezifisches, individuelles körperliches Training gegenüber der angestrebten Verhaltensänderung mit dem Ziel der Fortsetzung der täglichen (sportlichen) Aktivitäten in den Hintergrund geraten. Jüngste wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass die Ergebnisse dieses Ansatzes ebenfalls nicht optimal sind.

Die Wirbelsäule – praktisch unzerstörbar

Obwohl radiologische Bilder eine anfällige Wirbelsäule zeigen, ist sie in Wirklichkeit äußerst robust gebaut. Durch den stabilen Aufbau der einzelnen Bausteine und ihre gegenseitige Anordnung in Kombination mit wenig Bewegung zwischen ihnen ist die Wirbelsäule sehr gut geeignet, um hohe Belastungen aufzufangen und das Rückenmark und die peripheren Nerven zu schützen. Aufgrund der sehr hohen Anzahl von Nozizeptoren bleibt der allerdings robuste Kapsel-bandapparat sehr empfindlich und damit anfällig für falsche oder übermäßige Belastungen, während mechanische Schäden ausbleiben. Überlastungen insbesondere der Bandstrukturen der Iliosakral-, Lumbosakral- und Skapulothorakalgelenke sowie der gering belastbaren aber sehr beweglichen Halswirbelsäule können zu intensiven und lang anhaltenden Schmerzen führen.
Da bei unspezifischen Rückenschmerzen jedoch keine mechanischen Schäden vorliegen,wirkt die allgemeine Bewegung schon schmerzlindernd und funktionsfördernd. Eine spezifische Bewegung, die die Belastbarkeit der Gelenke berücksichtigt, kann wesentlich effektiver sein.

Arthrogene Muskelhemmung - lokale und globale motorische Beeinträchtigung

Die Aktivierung von Nozizeptoren im Kapsel-Band-Apparat funktionell beeinträchtigter Wirbel- und insbesondere Hüft- und Schultergelenke sowie der am Gelenk beteiligten Muskel- und Knochenfaszien führt auch zu einer Verminderung der muskulären Kontrolle der Hüft- und Schultermuskulatur. Diese bilden zusammen mit den abdominalen bzw. mediokaudalen Skapulamuskeln ein Kraftpaar. Die geringere Aktivität dieser „Gelenk“-Muskeln ist offensichtlich, da sie sich ebenfalls aus dem embryonalen Gewebe entwickeln, aus dem die  Extremitäten gebildet werden. Die daraus resultierende Bewegungsstörung des Schulterblatts und des Beckens führt zu einer erhöhten Belastung bei einer reduzierten Belastbarkeit  der Wirbelsäule. 
Chronizität der Rückenschmerzen korreliert dann mit der Art und Schwere der Funktionsstörungen der Hüft- und Schultergelenke.